…BERLIN 09…Badeschiff mit Che und einer einsamen Nachtschwimmerin, tolle Kulisse, romantischer Freischwimmer, und bei der Bar 25 eine Stunde vor definitivem Ende (?) immerhin vor der Tür gewesen…und ein echtes Berliner Original als Taxifahrer…
Ich bin jedes Mal gespannt wie ein Flitzebogen auf meine erste U-Bahn Fahrt in Berlin. Und ich werde nie enttäuscht: sofort treffe ich auf jede Menge Verrückte. Ich fahre von der Berliner Strasse gen Schlesisches Tor.
Vor dem Umsteigen entdecke ich an der übernächsten Tür einen Mann, ich schätze ihn auf 60 Jahre, Halbglatze und sonst fülliges dunkelgraues Haar. Sieht ganz normal aus. Wenn man seine Kleidung nur nach der Vollständigkeit ansieht, auch ganz normal. Graue Hose, Polohemd grün mit lila Kragen. OK, bunt. Aber das aussergewöhnliche: alles ist aus Latex! 1A geschneidert würde ich sagen. Ich bewege mich gen Ausgang, stelle mich hinter ihn und knipse ihn verstohlen. Dann sehe ich zur Seite, die anderen Fahrgäste an, und muss einfach nur grinsen. Verrückt.
Kaum steige ich aus, die typische Schreierei einer Frau im Drogenrausch. Diese schreit ihrem Hund hinterher, den ich nirgendwo erblicken kann.
Der Mann in Latex geht extrem schnell weg, ich habe keine Lust, ihm hinterherzudüsen, obwohl ich ihn eigentlich noch einmal mit mehr Abstand fotografieren wollte. In der Hand hielt er ein scharzes Teil mit Reissverschluss. Was ich zuerst naiv für eine Handtasche hielt, war vielleicht eher eine Kopfbedeckung.
Weg war er. Ich gehe in die Richtung meiner Umsteigeverbindung, lese „9 Minuten“ und gehe entspannt weiter. Als ich die Rolltreppe oben verlasse, fährt der 9-Minuten-Zug gerade ab. Aus ihm schaut mich der Latex-Mann an. Er scheint unbewusst ätsch zu sagen. Ich muss auf den nächsten Zug warten.
Dieser bringt mich zum Schlesischen Tor. Unten auf der Strasse frage ich einen vernünftig aussehenden jungen Typen nach dem Weg. Zu vernünftig, denn im darauffolgenden Gespräch auf der Strecke zu Badeschiff, wo er auch hin will und wobei ich den Weg besser kenne als er, siezt er mich ständig, obwohl ich ihm sagte, er könne mich duzen. Ein Göttinger, der in Hamburg studiert und es dort gediegen findet. Höchstens 19, trifft er vor dem Freischwimmer auf seine Kumpels und verabschiedet sich, nicht ohne dass mir einer noch zuruft, ich solle unbedingt in die Bar 25, die ich erwähnt habe, wenn diese noch auf hat. Sie hat heute ihren allerletzten Tag.
Der Freischwimmer liegt wunderbar romantisch am Flussarm, gegenüber eine ebensolche Restauration. Wie herrlich. Es ist übrigens Montag. Und voll. Um die Ecken, die wundersam hübsch beleuchtet sind mit lauter roten Lampen, die wie Ufos erscheinen, gelange ich bei der Treptower Arena zu Badeschiff. Glücklich. Grinsend. Ich sage dem Barkeeper, dass ich geradewegs aus Hamburg direkt hierhergekommen bin und wie ich mich freue, angekommen zu sein. Nehme ein Berliner Pilsener und geselle mich auf den Steg zu der Schar in Liegestühlen, die den Che Film guckt, der schon seit einer Stunde abgespielt wird. Ich schaue auf das beleuchtete Schwimmbad. Was für eine Kulisse. Schon bei Tageslicht leuchtet es, das schwimmbadblaue aufgeschnittene Schiff, dass so klar und sauber im dunklen Wasser schwimmt. Eine Frau zieht ihre Bahnen. Sie hat den Pool alleine für sich, um 23 Uhr. Ich liebe Berlin.
Der Film ist Guerilla und das ist kein schöner Kampf. Ich verlasse meinen Liegestuhl, packe meinen Pareo, den ich mir um eine nackten Beine gewickelt hatte, wieder ein, und spaziere gemütlich zurück. Den Türsteher vom Freischwimmer, den ich zuvor nach dem direkten Weg zum Badeschiff gefragt hatte, frage ich nun, ob ich zur Bar 25 zu Fuss gehen kann. Und nehme ein Taxi. Ein echter Berliner, so spricht er. Will nicht so recht raus mit der Sprache, dann doch, und schon sind wir da. Es ist kurz nach 11 und ich komme nicht rein in den Schuppen. Hast Du einen Stempel von heute Morgen? Da war ich noch in Buenos Aires, lüge ich. Dann geht das nicht, wir lassen niemanden mehr rein. Ich ziehe eine Fluntsch. Das nützt Dir nichts, dann hättest Du vor 240 Stunden hier sein sollen. Da war ich in Buenos Aires. Da mir unsinniges Anstehen vor Bars und Diskotheken nicht liegt, steige ich wieder in mein Taxi, der Fahrer hatte extra gewartet. Und erzählt mir, dass die Schlangen hier seit Freitag endlos waren vor der Tür, und die Kerle rigoros aussondiert haben, wer rein darf in die Heiligtümer. Sie hätten es nicht nötig und wären arrogant.
Und dann fahren wir noch auf seinen Tip hin beim nahen Weekend vorbei, aber es ist eben kein Wochenende mehr und die Location ist geschlossen. Auf dem Rückweg nach hause lässt er sich in nicht gerade erfreuender Art über die Missstände in Berlin aus, wie alles verfällt, Wowereit alles abreisst, die Strassen hässlicher und die Geschäfte schlechter werden. Ich will das nicht hören, sage aber ab und zu dazwischen ja. Wir haben alle kein Geld zu verschenken, icke ooch nicht, sagt er in schönstem Berlinerisch. Ich freue mich, mal einen echten Berliner zu treffen. Er zeigt mir im Vorbeifahren den Puff King George, mit wilden grünen Lianen um den Türrahmen drapiert, wo früher 20 Taxen vor der Tür standen. Alles leer, kein Geschäft mehr. Dann sind wir zuhause. Ich hatte einen schönen spontanen Abend. Beim Badeschiff. Dort war ich 2006 gut 2 Tage nach der WM, bei der ich 6 Wochen lang unter extremem Schlafdefizit gelandet und befand, das war der Himmel.