3. Tag in VGB, wie ich es genannt habe, nur um dann festzustellen, dass diese Abkuerzung sogar auf Ortsbeschilderungen gedruckt ist! Und hoechste Zeit, endlich die Eindruecke niederzuschreiben, bevor einiges zu bekannt und gewohnt wird, in diesem speziellen Ort.
Zuerst: ich befinde mich in einem Pionierort, nach Info im Lonely Planet auch danach ausgesucht. Ein weiterer Ort, nach Villa Gesell, suedlich von Buenos Aires, in dem ich in die Geschichte eintauche.
Nach einer anstrengenden Nachtbusfahrt von Jujuy nach Cordoba und einem direkten Anschluss fuer weitere 2,5 Stunden ins Valle Calamuchita, kam ich hier ziemlich uebermuedet an. Die Sonne strahlte und ich wanderte tapfer mit meinem Rucksack durch den Ort, hin und her, mir eine feine Unterkunft suchend. Wie ich zu meiner grossen Freude entdeckte, haben die meisten Lokalitaeten einen Pool. Und danach suchte ich mir auch meine Unterkunft aus, vom Foto im Touri-office aus. Dementspechend ist das Zimmer auch nur so-lala, der Garten mit Pool aber sehr schoen. Was mir bisher nichts genuetzt hat, denn in der ersten Nacht fing es bitterlich an zu schuetten, gestern vormittag regnete es weiter, nachmittags Wolken. Heute wieder Regen, den ganzen Tag ueber immer wieder. Bisher fand ich das ok, denn ich wollte ausschlafen (was nicht geschehen ist, da ich immer bis nach Mitternacht im Internet-Cafe sitze und erst jetzt, am 3. Abend, ANFANGE, Tagebuch zu schreiben.
Neugierig spazierte ich durch den Ort und amuesierte mich ueber all die deutschen Beschilderungen bei jeglichen Namen.
Unterkuenfte heissen Blaue Rose, Edelweiss (unpassenderweise heisst das dortige Restaurant Baden-Baden!) , Prater, Bremen, Pfullendorf, Alpendorf, Loreley, Sonnenplatz, Bad Wiessee, Düsseldorf, Buxtehude… Gastronomie heisst Biergarten, Bierkeller, Alter Zeppelin, Viejo Munich, Tante Leny, Oma Tulia, Alpengruss, Cafe Rissen, Weiteres wie: Bowling Unter den Linden
Der Ort wurde 1931/2 gegruendet, damals als “El Sauce”, als Feiertag wurde der 11. Oktober auserkoren, ein Tag vor dem sonstigen oertlichen Feiertag, dem Dia de la Raza. Von 1935-1950 hiess das Fest dazu “Fiesta de la Primavera”, bis 1963 “Fiesta de la Cerveza” und ab 1963 “Fiesta Nacional de la Cerveza”. Bis heute: Oktoberfest. Der Ort wurde nach Zusammenfuehrung mit einem Nachbarort in “Villa Calamuchita”, nach dem Tal, umbenannt.
Im Mai 1940 kamen ca. 110 Seeleute von der zuvor vor Montevideo von der Mannschaft versenkten “Graf Spee” mit 1039 Seeleuten in die Gegend. Sie siedelten sich an und blieben, andere verteilten sich u.a. auch nach Villa Gesell, aber hier sind sie bekannter bzw. der Ort wurde durch sie bekannt. Nicht durch die ca. 1000 Pioniere, die vorher schon hier lebten.
Am 9. Juli 1943 passierte dann etwas Ungehoeriges, desnachtens wurden 3 argentinische Flaggen von offiziellen Gebaeuden gestohlen. Man verdaechtigte sofort die Seeleute, als Nazis, und ohne sie oder die Dorf”aeltesten” ueberhaupt anzuhoeren, wurde als Strafe der Ort umbenannt, in Villa General Belgrano, seinem heutigen Namen. Belgrano war der Designer der argentinischen Flagge und die Einwohner sollten dies(e) niemals vergessen! Nicht nur, dass es niemals bewiesen wurde, dass der Diebstahl von den deutschen Seeleuten begangen wurde, die Masse der Dorfbewohner waren vor ihnen da und litten sehr unter dieser Strafe.
An meinem ersten Abend habe ich brav und interessiert eine “Pizza Alemana” gegessen, sehr interessant: mit Sauerkraut (lecker), Frankfurtern (?) und Bacon (ausgesprochen # baKON#. Am zweiten Tag war ich im Cafe Rissen, das nichts mit dem Hamburger Vorort zu tun hat. Dort bestellte ich einen Strudel Manzana und ein Sandwich Leberwurst. Beides war so immens gross, dass ich aufstoehnte und der Kellner sofort sagte, ich bekaeme ein Doggy Bag.
Vor jedem Haus liegt hier mindestens ein Hund, auf der Strasse kommen einige dazu, die meisten freundlich, die vor den Hauesern machen meist einen auf dick. My favourite ist nicht nur der Dackel des Schreibwarenladens Seyfarth, der mit “komm her” gerufen wurde, den ersten deutsch-pionierigen Worten, die ich hier hoerte.
Endlich die “Deutsche Schule” gefunden, mich mit einigen Maedels unterhalten, dabei enttaeuscht worden: sie lernen deutsch nur als eine – obligatorische – Fremdsprache, aber der soundsovielten Klasse. Weiter auf der Suche nach dem alten Ortsviertel “Ludwig”. Ob ichs gefunden hab, weiss ich nicht, hab aber viel gesehen und fands schoen. Viele schoene (aber nicht protzige) flache Haueser, ruhige Strassen oder Sandwege, viel gruen und Baeume.
Dieser Ort wird von den grossen Busfirmen angefahren. Wie das funktioniert, interessiert mich noch. Denn der Ort liegt auf keinen Fall an einer Hauptstrecke (Cordoba-Buenos Aires). Sind die hier so wichtig oder so viele? Eine Busfirma, die auch mit einem grossen Geraet hier vorbeikam (die oertliche Reparaturstelle an der Shelltanke heisst “mecanicos Freiburg”), heisst “Colonia Tirolesa”, das muss ganz aus dieser Gegend kommen!
OK, heute abend bin ich dann nach meinem Rundgang zu “Ottilia” gegangen. 2 Gaeste aus Buenos Aires waren da und in der Ecke eine Runde ergrauter Damen beim Kartenspiel. Ich sprach sie an, ob sie deutsch seien und sprechen koennten: Es stellte sich heraus, dass eine der Damen Ottilia Schwab (Oesterreich) selbst war. Eine weitere aus Deutschland (mit 6 Monaten hergekommen), eine aus der Schweiz und eine aus Italien (daher sprachen sie spanisch miteinander).
Schon vorher hatte ich in der Hauptstrasse in einem kleinen Souvenirladen (das sind fast alle hier, aber mit wunderbaren Dingen! Gestern habe ich einem Pachamama-Laden leider zugeschlagen…) eine deutsche Inhaberin (auch Immigrantentochter, aber von vielen anderen Stationen hierherverschlagen worden) gesprochen und in der Tür das Schild mit den aktuellen Daten zur lokalen Skatrunde gesehen.
Ottilia kam dann mit ihrem orthopaedischen Wagen an mir vorbei (lange nicht so praktisch wie die deutschen Teile, die soweit ich erinnere, oft uebrig sind, weil man sie bei uns kaufen muss. Diese haben nur 2 Raeder, dh man muss sie vor jedem weiteren Schritt anheben! ), nach einer Operation vor 6 Monaten hinkte sie somit, 60 Jahre in der Konditorei waren zuviel, meinte sie. Ich rechnete, wie alt wie bei Ankunft im Ort war, wenn sie heut 82 ist, kam aber erst spaeter auf die genauen Zahlen. Ottilia hatte ihr Geschaeft vor einem Jahr verkauft, an Alicia Ugarte, die uns bediente.
Denn dann kam auch Werner Trachsel dazu, Schweizer und ihr Gatte. Die beiden hatten sich im Ort als Kinder kennengelernt, ihre Eltern sowie seine hatten beide je eine Pension, nebeneinander. Beide gingen aber spaeter aus den Orten fort, in die Schweiz, beide heirateten andere und bekamen Kinder. Sie trafen sich wieder als sie beide frueh Witwer waren. Und im Alter von 50/51 Jahren waren sie gerade frisch miteinander verheiratet, als sie in Hamburg auf St. Pauli zu ihrer Ueberraschung in ein “Lokal” gebeten wurden. In HH bestiegen sie ein Schiff nach Buenos Aires. Werner arbeitete in Wolle, teils in Uruguay. Ottilia hatte den Laden der Eltern uebernommen, aber eine Konditorei, die damals einzige Teestube, daraus gemacht. Er ist 1920 geboren, sie haben beide am gleichen Tag Geburtstag und sind jetzt seit knapp 30 Jahren verheiratet.. Werner ist mit 17 Jahren 1938 hier angekommen (und CH bedeutet confederacion helvetica!). Werner hat zw. 1962 und 73 “drüben” in der Schweiz bzw. Europa gelebt und gearbeitet, dann kamen sie beide zurueck!